Nachruf auf Dieter Zeh

 Auszüge aus einem Nachruf auf Dieter Zeh (1932 - 2018) , der die Dekohärenz - Interpretation erfunden hat.

Geschrieben von Heinrich Päs, Prof. für Theoretische Physik

Er war ein alter Mann und fischte allein in einem Boot im Multiversum, und seit sechsundachtzig Jahren hatte er keinen großen Physikpreis an Land gezogen.

Mit Dieter Zeh (aka Heinz-Dieter Zeh oder H.D. Zeh) ist am 15. April 2018 einer der letzten großen Pioniere der Quantenmechanik verstorben. Mit dem Phänomen der Dekohärenz hatte er 1970 das letzte Puzzle-Stück im Formalismus der Quantenmechanik entdeckt. 

 

 “Decoherence is – in my humble opinionone of the most important discoveries of the past century

Das hat mir MIT-Kosmologe Max Tegmark erst kürzlich geschrieben, und Zeh damit in eine Reihe mit Genies wie Einstein, Bohr, Schrödinger oder Heisenberg gestellt. In dieser Gesellschaft findet sich auch seine Arbeit in der 1983 von John Archibald Wheeler und Wojciech H. Zurek zusammengestellten Kollektion klassischer Arbeiten zur Quantenmechanik .

Und da gehört er auch hin: Denn wenn es nach Tegmark, mir und einer zunehmenden Zahl von Physikern geht, hat Dieter Zeh letztlich gezeigt, wie das entsteht, was wir Realität nennen. 

  

Wie Zeh entdeckt hat, wird bei einer Quantenmessung das System durch Wechselwirkung mit dem Bobachter oder der Messapparatur sowie der Umgebung, also dem Rest des Universums, verschränkt. Wenn man dann berücksichtigt, dass kein Beobachter das gesamte Universum kennt und über diese unbekannte Information mittelt, verschwinden die Interferenzen.

  

In seiner Nobel-Vorlesung beschreibt Haroche, wie er durch Zehs Arbeit zur Dekohärenz beeinflusst und wie die Idee, das Phänomen mit einfachen Experimenten zu untersuchen, für ihn ein starker Ansporn wurde. 

  

Wie kommt es dann, dass Dieter Zeh nicht hochdekoriert und in aller Munde ist, dass dieser Ausnahmephysiker kein Prominenter war?

Zum Einen schwamm Zeh nicht mit dem Mainstream, er dachte tiefer als andere.

Und Zeh konnte gelegentlich bissig sein..

  

Wir haben einfach nicht verstanden, was er gemacht hat” 

hat mir Berthold Stech einmal gestanden, Zehs Kollege an der Heidelberger Uni, der mit Feynman und Gell-Mann bei der Entwicklung einer Theorie der schwachen Wechselwirkung konkurrierte, und langjähriger Direktor des Instituts für Theoretische Physik war.

Doch Zeh blieb stur: Zur Not veröffentlichte er in obskuren Journalen und auf seiner eigenen Webseite.

 

 

Dabei sind auch die möglichen philosophischen Folgen von Zehs Entdeckung bahnbrechend: Als der Wissenschaftsphilosoph Thomas S. Kuhn beschrieb, wie sich Paradigmenwechsel in der Physik vollziehen, nahm er die Kopernikanische Wende als Beispiel.

  

Gegen die Vorstellungen, die Dieter Zeh uns zumutet, sind die Paradigmenwechsel der Kopernikanischen Wende freilich Pipifax. Nach Zeh gibt es weder Sonne, noch Erde noch Planeten. Unsere klassische, makroskopische Welt entpuppt sich als Täuschung. Allein das erinnert an die Denkleistung antiker Naturphilosophen, die Sterne und Planeten am Nachthimmel als Gesteinsbrocken zu verstehen anstatt als Mythen von Göttern und Heroen. Aber damit nicht genug: Es gibt auch keine Teilchen oder Quanten – Konzepte, die ganzen Disziplinen der Physik ihren Namen gegeben haben, werden zur Illusion degradiert. Ja selbst die Zeit ist nach Zeh  nicht fundamental.

  

Die Physik wird erst noch realisieren müssen, wie groß dieser Verlust ist.

Vielleicht ist es etwas tröstlich, dass Zehs Geisteswelt weiterlebt in seinen Schülern und den vielen Wissenschaftlern, deren Weltbild er entscheidend geprägt hat. Und dass hinter der Vielzahl von Welten im Multiversum eine Einheit steht – der zeitlose Quantenkosmos, in dem Vergänglichkeit und Tod reine Illusion sind.

 

 

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