P96: Eine Reise in die Vergangenheit?

 16.3 Experimente mit verzögerter Wahl

Wie seltsam die Quantenwelt ist, zeigen uns Experimente, die mit dem Mach-Zehnder-Interferometer MZI gemacht wurden. Sie sind für unser alltägliches Verständnis der Welt unerklärlich, aber eine konsequente Folge der Quantenregeln.

16.3.1 Das Mach-Zehnder-Interferometer

Ich erkläre kurz die Lösung der Klausuraufgabe:

Ganz wesentlich zum Verständnis ist der Aufbau der Strahlteiler (Beamsplitter BS im nächsten Bild). Sie sind nicht symmetrisch eingebaut. Dadurch entsteht am Detektor D1 immer ein Signal (Interferenzmaximum) und am Detektor D2 ist es immer dunkel (Interferenzminimum).

Es ist eine schöne Übung sich die Phasensprünge PS der Lichtstrahlen einmal aufzuschreiben:

Licht für Detektor D1:

Weg oben: 180° Phasensprung am festen Spiegel, an den Strahlteilern kein Phasensprung, da an der optisch dünnen Hälfte reflektiert wird

Weg unten: es passiert genau das Gleiche...

Fazit: Kein Gangunterschied, Interferenzmaximum

Licht für Detektor D2:

Weg oben: Phasensprünge am Spiegel oben links und am Strahlteiler oben rechts (Reflektion am dichten Teil)

Weg unten: Nur Phasensprung am Spiegel rechts unten

Fazit: Der Unterschied bei den Phasensprüngen von 180° bewirkt ein Minimum.

16.3.2 Experimente mit verzögerter Wahl

Und nun bauen wir das MZI um. Der obere Strahlteiler BS2 kann in sehr kurzer Zeit aus dem Strahlengang rein oder raus gefahren werden (das wird durch elektronische Umschaltungen erreicht).

Die Idee dazu bekam Wheeler 1978. Zuerst umgesetzt und erfolgreich ausgeführt wurde dieses Experiment von Aspect 2007.

Wir experimentieren mit einzelnen Photonen.

J.Pade, Quantum Mechanics for Pedestrians 1, Springer

Fall 1: BS2 wird herausgefahren (ausgeschaltet), nachdem das Photon BS1 und sogar den festen Spiegel durchlaufen hat. Die Interferenz verschwindet trotzdem. An BS1 ist das Photon mit je 50%-iger Wahrscheinlichkeit entweder auf den oberen Weg oder den unteren Weg gelenkt worden. Beide Detektoren können also nun mit 50%-iger Wahrscheinlichkeit ansprechen.

Es ist nachträglich eine Wegmessung vorgenommen worden, obwohl vorher wegen der Interferenz kein Weg ausgesucht war. Das nennt man verzögerte Wahl.

Fall 2: Nun wird BS2 vor Beginn des Experimentes ausgeschaltet. Das Photon hat an BS1 einen der beiden möglichen Wege gewählt. Es findet keine Interferenz statt. Aber nachdem das Photon an einem der beiden Spiegel M vorbeigekommen ist, wird BS2 wieder eingeschaltet. Nachträglich ist die Wegentscheidung weggefallen und es tritt wieder Interferenz auf, d.h. das Photon kommt immer am Detektor D1 an.

16.3.3 Interpretation

Die Deutung der beiden Fälle mit verzögerter Wahl bereiten in der Quantenmechanik keine Probleme. Mathematisch wird eine Überlagerung so lange vorgenommen, bis eine Wechselwirkung möglich ist. Sobald nach dem Weg gefragt wird, verschwindet die Interferenz.

Probleme bekommen wir nur, wenn wir das versuchen anschaulich zu verstehen:

Wenn das Photon an BS1 ankommt, muss es anscheinend wissen, was wir in Zukunft mit BS2 machen werden. Selbst wenn die Entscheidung später rein zufällig fällt (in einer Folge von Experimenten bleibt BS1 mal drin bzw. kommt mal zufällig raus), wird das Photon immer das erwartete Verhalten zeigen.

Es sieht so aus, dass die Entscheidung, was wir mit BS2 machen, sich rückwirkend in die Vergangenheit ausbreitet und dort das Verhalten der Photonen beeinflusst.

Nun, da alle Gleichungen der Physik, insbesondere der QM zeitsymmetrisch sind, also keine Zeitrichtung vorgeben,wäre das in keinem Widerspruch zu den bekannten Formeln.


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