P85 Von Socken und Elektronen auf Weltreise

 14.4 Bertlmanns Socken

Der Wiener Physiker Reinhold Bertlmann (geb. 1945) trägt immer verschieden farbige Socken. Das nahm Bell, der mit ihm am CERN zusammen gearbeitet hat, zum Anlass, eine grundlegende Eigenschaft der QM zu erklären: Bertlmann's socks and the nature of reality

Alle wissen, Bertlmann zieht jeden Morgen eine rote und eine gelbe Socke an. Er guckt aber nicht hin, an welchen Fuß welche Socke kommt.

Mit so präparierten Füßen macht Bell eine Messung: Er hebt ein Hosenbein hoch und sieht: Die Socke ist rot. Also weiß er, dass die andere Socke gelb sein muss.

Universität Wien

 Wir alle wissen, woran das liegt: Bertlmann hat das am Morgen beim Anziehen gemacht und die Socken waren die ganze Zeit  so.

Die Interpretation der QM aber sagt: Erst bei der Messung entscheidet sich die Farbe (aus den 2 Möglichkeiten wird ein Fakt) und auch die andere Socke erhält dann ihre Farbe als Eigenschaft. Auch wenn Bertlmanns Füße 2 Lichtjahre voneinander entfernt wären...Exakt in dem Moment, bei dem man sieht, dass die eine Socke rot ist wird die andere gelb.

Es gibt keine verborgenen Parameter, wie das Anziehen am Morgen, die die Eigenschaften der Socken festlegen.

Wir nennen das Verschränkung. Die beiden Socken sind über den Anziehvorgang von Bertlmann verschränkt. Sie waren mal gemeinsam im Schrank.

Wer jetzt sagt, die spinnen ja die Physiker...nee tun sie nicht...denn seit 30 Jahren macht man genau solche Experimente mit Quanten und sie zeigen genau das: Eigenschaften entstehen gleichzeitig an unterschiedlich weit entfernten Orten durch  Messung an einem Ort.

Wir können zusehen, wie Quanten unsere Welt zusammenbauen. 

Das ist die Grundlage für die Teleportation.

2012 habe ich Bertlmann zu einem Vortrag ins SFN eingeladen.





14.5 Ein Elektron auf Reisen

de Broglie hat ein ähnliches Gedankenexperiment entwickelt. Auch das können wir heute in Echt durchführen und erhalten natürlich genau die Ergebnisse, die die QM bestätigen.

Das Gedankenexperiment:

Ein Elektron wird in einen Kasten gesperrt. Mit 100%-iger Sicherheit ist es irgendwo im Kasten. Dann wird der Kasten geteilt, ohne das Elektron zu beobachten. Mit je 50% Wahrscheinlichkeit muss das Elektron in einer  der beiden Kastenhälften sein.

Eine Hälfte des Kastens wird nach Paris, die andere nach London gebracht  (oder sonst wohin, gerne auch noch weiter weg).

Öffnet man die Kastenhälfte  in Paris, so gibt es zwei Möglichkeiten: zu 50% findet man das Elektron und zu 50% nicht.

Um diese Prozentzahlen zu testen, muss man viele solcher Experimente wiederholen.

Nehmen wir an, in Paris findet man das Elektron. Dann kann es natürlich nicht in London sein. Selbst bei exakt gleichzeitigem Öffnen würde man es in London nicht finden.


 Wie kann man nun dieses Gedankenexperiment interpretieren:

Realistische Interpretation:

Bei der Teilung ist das Elektron in die Pariser Hälfte gelangt und war schon immer dort, im Londoner Teil war nie etwas.

Quantenmechanische Interpretation (Kopenhagener Deutung):

Vor der Öffnung gabe es für beide Kastenhälften einen Überlagerungszustand aus "Elektron drin" und "Elektron nicht drin". Beide Möglichkeiten sind in beiden Kästen vorhanden.

Erst im Moment der Beobachtung  ist daraus in Paris die Eigenschaft "Elektron drin", also ein Fakt entstanden.

Quantenmechanische Interpretation (Dekohärenzmodell):

In extrem kurzer Zeit wechselwirkt das Quant in seiner Hälfte mit den Quanten des Kastens. Die Welleneigenschaften verschwinden und es entsteht das Fakt: "Elektron drin". Da diese Wechselwirkung im anderen Kastenteil nicht möglich ist, wird man dort auch kein Elektron finden. Wie von Plotin formuliert, hat die Natur selbst "geschaut" und etwas erschafft.

Mit dieser modernen Interpretation, die von Dieter Zeh entwickelt wurde und sich seit 20 Jahren immer mehr durchsetzt, werden wir uns noch kurz beschäftigen.

Zuvor aber müssen wir noch einen weiteren Blick auf die Realität werfen. Im nächsten Abschnitt werden wir zeigen, dass es die Dinge unseres Alltags wie Orte, Bewegungen, Wege in der Quantenwelt nicht gibt.

Dann gehen wir der Frage nach, ob sich Immanuel Kant, der größte deutsche Philosoph im Grab herumdrehen würde (Hinweis: Kants Skelett ist kein Quant, es kann sich drehen...) oder ob er sagen würde: "Das habe ich schon immer gewusst!"

Dann werden wir mit Dieter Zehs Ansatz zeigen, wie die Quantenwelt unsere Alltagswelt konstruiert und wie wir mit unserem Bewusstsein letztlich das Gleiche machen.



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